Dienstag, 1. März 2011

Tragödie mit Happy End – Berlin und der Verlan

So eine geile Rauf! Du beschissener Lebu! So würde es sich anhören, versuchte man den französischen Verlan ins Deutsche zu übertragen. Für uns kaum verständlich ist dieser Sprachstil der Wortumdrehung (verlan = l'envers - umgekehrt) bei unseren Nachbarn relativ geläufig. Da wird aus 'femme' (Frau) kurzerhand 'meuf' und aus dem 'flic' (Polizist) ein 'keuf'. In Deutschland gibt es diese Redensart nicht, auf Straßenschreie nach Frauen und Bullen hatte ich mich, der bekannten Vorurteile zufolge, für unser drittes FÖJ-Seminar aber eingestellt. Doch am Berliner Bergkreuz kam alles anders als erwartet:

Berlin ist nicht die naheliegendste Antwort wenn es um einen Seminarort für in Frankreich und Rheinland-Pfalz arbeitende FÖJler geht. Für mich bot sich dagegen die erste Gelegenheit die Hauptstadt zu besichtigen. Mit Tobi (FÖJler aus Marseille) war ich deshalb zwei Tage vor Seminarbeginn bereits am Hauptbahnhof angekommen – um mich in einer paranoiden Kapitalistenstadt wiederzufinden. „Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein“ lag mir auf den Lippen angesichts zahlreicher Industrieanlagen, die ihre qualmenden Schlote wie hungrige Vögel ihre dürren Hälse in den Himmel streckten. Eine Stadt, deren überdimensionale Straßen und große eckige Häuser oftmals an amerikanische Megastädte und deren Konsumrausch erinnern. Eine Stadt, in der ein Umweltprojekt wie die Öko-Wohngemeinschaft „Lichte Weiten“, in deren Haus ein Liter Wasser viermal benutzt wird, ehe er im Abfluss verschwindet, jahrelang auf einen Straßenanschluss warten muss. Eine Stadt, in der sich ein Schenkladen nicht nur namentlich als Systemfehler entpuppt und aus seiner Behausung verdrängt wird. Wie kann es in so einem Umfeld eigentlich Spaß machen die übrigen FÖJler wiederzutreffen, zumal einige unter ihnen das FÖJ bereits geschmissen haben oder dies in nächster Zeit tun werden? Die biologischen Produkte, die sie wieder von ihren Höfen mitgebracht hatten, boten zwar eine kleine Abwechslung zum Alltagsfraß der Großstadt. Doch der ökologische Hoffnungsschimmer erlosch im Schatten der Dönerläden, denen ich ebensowenig wiederstehen konnte wie der ortstypischen Currywurst. Auch ein Bioladen wie die besuchte Land-Produkte Gemeinschaft (LPG) wird in Berlin gegen eine Kette wie Burgerking langsam pleite gehen.  “Mir wird schlecht, ich mach die Jacke zu, denn es ist kalt“ und nicht wenige von uns hat es erwischt. Jeden Tag fielen mindestens zwei neue Kandidaten der zirkulierenden Grippewelle zum Opfer, die von einem FÖJler zum nächsten schwappte. Ich schätze mich glücklich, dass mir die eisigen Temperaturen nur die Lippen aufgerissen haben. Sich bei diesem Wetter auf eine Besichtigungstour zu begeben ist folglich eine Tortur. Was wurde uns geboten? Ein Reichstag, der seit November wegen Terrorängsten geschlossen ist und eine fette Ratte, die meinen Eindruck vom Alexanderplatz prägt. “Dein Panorama versaut” 

Ein Besuch beim Deutsch-Französischen Jugendwerk gab mir die Möglichkeit meine Arbeit beim Loubatas vorzustellen. Kurzzeitig huschte der grüne Gedanke in die Köpfe der Runde zurück aber was wollten wir FÖJler eigentlich in Berlin? Nächte in Nightclubs fraßen mich Stück für Stück auf und bei einem abendlichen Slammerkontest blinzelte nur noch eine müde Gestalt gegen das Neonlicht. „Jeder bleibt für sich”, warum wir FÖJler dann noch so wenig zusammen gemacht haben, weiß ich nicht. Und wie endet das Lied? Am letzten Tag wurde schwarz zu blau.
Mit ehrenamtlichem Engagement und Durchhaltevermögen stellten wir eine Sammelaktion gebrauchter Elektronikgeräte auf die Beine und mit einer beachtlichen Spende brachten wir nicht nur einer Gruppe Bedürftiger die Freude zurück in die leeren Augen. Wir hatten die Woche in Berlin endlich hinter uns gebracht, unser drittes FÖJ-Seminar immerhin zufriedenstellend beendet und konnten mit gutem Gewissen wieder nach Hause fahren.
Ist doch ein schönes Ende, oder?

                              Doch was ist, wenn ich dieses Ende nur erfunden habe?


Was ist, wenn die ganze Geschichte nicht das ist, was sie vorgibt zu sein?
Was ist, wenn ein kritischer Analyst den Stil dieses Textes als Verlan enttarnt?
Was ist, wenn wir in Wahrheit ein großartiges Seminar in einem ökologisch vielseitigen Berlin verbracht haben, bis uns zuletzt sämtliche Computer, Kameras, Handys und Portemonnaies gestohlen wurden? Die Geschichte wäre nicht länger eine Tragödie mit Happy End – leider oder doch zum Glück?

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