Montag, 21. März 2011

"Ça y est, la mayonnaise commence a prendre"

Nach dem unschönen Ende des Berliner Seminars wollten die schlechten Nachrichten zunächst gar nicht abreißen. Die Rückkehr zum Loubatas offenbarte einen weiteren Einbruch, bei dem uns eine kleine Kreis- und eine Kettensäge entwendet worden waren. Gruppentechnisch wurden wir auch nicht verschont. Wir hatten über eine Woche lang eine colonie de vacances mit Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen bei uns, die nur Lärm gemacht haben und von Umwelt ungefähr soviel wissen wollten wie die CDU vom Mindestlohn. 
Kurz: Sophie (Hilfsköchin), Fatima, Gaëlle und ich waren uns einig, dass wir bisher noch keine schlimmere Gruppe hatten. Aber auch die Woche war irgendwann rum und dann ging es wieder auf die bright side of life. Mit neuer Motivation habe ich mich an der Kampagne von Europe Ecologie - Les Verts, quasi den Grünen von Frankreich, für die anstehenden Kantonalwahlen beteiligt. Dazu hole ich am besten kurz aus, um das französische Wahlsystem zu erklären.
In Deutschland gibt es Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Im zentralistischen Frankreich wird fast alles Politische von Paris aus geregelt. Jedoch gibt es Regionalwahlen für die Regionalräte, Kantonalwahlen für die Generalräte der Departementsverwaltung und Kommunalwahlen für die Gemeinderäte. Zur Einordnung: der Loubatas gehört zur Kommune Peyrolles-en-Provence, diese liegt im Departement “Bouches-du-Rhône”, das mit einigen anderen Departements zusammen die Region “Provence-Alpes-Côte d'Azur” (PACA) bildet. Der Wahlvorgang findet immer in zwei Runden statt. Bekommt ein Kandidat in der ersten Runde nicht die absolute Mehrheit gibt es eine Woche später Stichwahlen zwischen den zwei besten Kandidaten. Pro Kanton kommt also eine Person in den Generalrat. Ein Kanton setzt sich meist aus mehreren Gemeinden zusammen, in meinem Fall sind es mit Peyrolles, Meyrargues, Jouques, Le Puy-Sainte-Réparade und Saint-Paul-lès-Durance fünf Orte. Huii, die Fülle von Informationen muss man erstmal sacken lassen. Alles verstanden? Dann kann es ja weitergehen.
Ich habe also ein bisschen Wahlkampf für Francois Hamy und seine Vertreterin Jaqueline Maurel von Europe Ecologie - Les Verts gemacht. Einige Male haben wir Infozettel auf den Märkten der verschiedenen Gemeinden verteilt. Während eines gemeinsamen Picknicks beim ökologischen Haus von Yannick Erard (Yannick scheint offenbar ein Name für Umweltaktivisten zu sein, ich kenne inzwischen eine ganze Menge davon), das er aus Stroh gebaut hat, habe ich mal wieder alle Anwesenden mit meinem Gitarrengeklampfe gequält. Und zwei Tage nach Beginn der Japantragödie war ich bei einer von wenigen in Frankreich eilends ins Leben gerufen Anti-Atomkraft-Demos beim bekannten nuklearen Forschungszentrum Cadarache dabei, dass sich übrigens gerade mal 15 Kilometer von mir weg befindet. 
Da man ja mit und ohne Atomkraft Grund zum Strahlen hat nehme ich doch lieber die Variante, bei der ich es mir nicht erst vom Geigerzähler sagen lassen muss. Die Ansicht teile ich übrigens nicht alleine, ich habe in den letzten Tagen einige Franzosen getroffen, die sich verängstigt in der Apotheke mit Jodtabletten eingedeckt haben und bei denen ich relativ sicher weiß, was sie gestern gewählt haben. Richtig, gestern war der Wahlkampf vorbei und die erste Tour der Kantonalwahlen stand an. Nachdem die Kampagne recht gut verlaufen war hatte mein Chef, der seit zehn Jahren bei den Grünen tätig ist, eine Rundmail stolz mit “ça y est, la mayonnaise commence a prendre” betitelt und die bisherigen Errungenschaften nochmal zusammengefasst. Hatte die Mayonnaise denn angefangen zu haften? Nicht so sehr wie wir gehofft hatten aber nach knapp vier Prozent vor sechs Jahren haben wir gestern mit den Grünen immerhin fast 13 Prozent erziehlt. Die Stimmabgabe ist in Frankreich auch eine Sache für sich. Der Wähler bekommt nicht etwa einen Bogen zum Ankreuzen in die Hand sondern einen Briefumschlag. Dann muss er sich mindestens zwei von den vor ihm liegenden Kandidatenzetteln nehmen (das Wahlgeheimnis muss natürlich bewahrt bleiben), von denen er in der Wahlkabine einen in den Umschlag steckt und die restlichen wegwirft. Bei der Auszählung wird dann übrigens nicht etwa das Wahllokal geschlossen. Die passiert mal eben locker lustig zwischen alljenen, die dabei zuschauen wollen (es standen wenigstens ein paar keufs für den Notfall bereit). Am 27. März wird es eine Stichwahl zwischen den Sozialisten (40%) und erschreckenderweise der Front National (26%), quasi der französischen NPD geben. Diese hat vor allem in Marseille gut abgeschnitten und in acht von elf Kantonen gewonnen. Besonders erstaunlich bei uns: deren 23-jährigen Kandidaten hat man während der kompletten Wahlkampfperiode nicht ein einziges Mal gesehen...
Bleibt zum Schluss noch eine Greenpeaceversammlung, zu der mich Yannick Erard eingeladen hatte. Da bin ich in Begleitung von Rouven hin, einem weiteren FÖJler, der mich letzte Woche beim Loubatas besucht und mir ordentlich bei meiner Arbeit geholfen hat. An dieser Stelle nochmal einen großen Dank an Rouven für die Hilfe und Respekt vor der kurzzeitigen Animateurrolle, die er ohne großes Vorwissen an einem Nachmittag mal schnell eingenommen hat. Nach der anfangs erwähnten Chaosgruppe war diese letzte Gruppe übrigens das komplette Gegenbeispiel. Bedeutet: ich war nach der Hälfte der Woche nur noch als “Papa Yannick” bekannt und frage mich immer noch, wie ich es geschafft habe, mich ohne Bodyguards überhaupt noch vom Fleck zu bewegen.

2 Kommentare:

  1. hui, 13% sind verdammt gut! voll allem wenn man bedenkt wie hoch der FN um Marseille rum im Kurs steht.

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  2. Japan scheint die Leute etwas aufgeruettelt zu haben, denn hier denken ja nicht mal die Sozialisten an einen Atomausstieg. FN haben wir uns u.a. mit Zukunftsaengsten von jungen Waehlern erklaert aber auch mit mangelnder Wahlbeteiligung. Bei uns waren es gerade mal 47 Prozent

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